Humor im Coaching

Written by Stefanie Segmiller

October 18, 2024

„Lachen ist die beste Medizin“ oder „Humor ist, wenn man trotzdem lacht“, hat wahrscheinlich jeder von uns schon mal gehört und an Roberto Blanco und seinem Song „Ein bisschen Spass muss sein“, sind wahrscheinlich diejenigen, die wie ich in den 70ern geboren wurden, auch nicht daran vorbei gekommen.

Nach meinem Unfall hatte ich für mich gefühlt nichts mehr zu Lachen. Vielmehr fühlte ich deprimiert, frustriert, angespannt, traurig, verzweifelt, hilflos. Also das Gegenteil von locker und leicht. Als ich nach meiner OP erstmalig im Rollstuhl in den Physio-Trakt der Klinik geschoben wurde, war mir daher eher zum Weinen als zum Lachen zumute. In einem offenen Raum erwarteten uns die Physiotherapeuten, um uns auf die Liegen zu hieven. Da „open space“, konnte jeder den anderen sehen und beobachten. Neben mir war ein jüngerer Mann, der nur noch ein Bein hatte und eine Prothese trug, die er für die Therapie abnahm. Ich wollte eigentlich gar nicht hinsehen, aber irgendwie doch, war aber dann während der 25 Minuten Einheit mit meinem eigenen Bein beschäftigt. 

Nach der Therapie liessen wir uns alle erschöpft in die Rollstühle fallen, um uns wieder auf unsere Station zu rollern.

Als wir gerade den Physio-Trakt verlassen wollten, rief ein Therapeut dem jungen Mann, der nur ein Bein hatte, nach: „He, Du hast glaube ich was vergessen. Hier steht noch dein 2. Bein rum. Das nimmst Du schön wieder mit“. Und was macht der Mann mit nur einem Bein, er fängt schallend an zu Lachen, dass ich kaum verstehe, was er antwortet: „Ah, stimmt, wieder zu schnell gewesen und nicht richtig angezogen……“ Eine Sekunde Stille und dann haben wir alle gelacht. Und es tat so gut. Die aufgestaute Anspannung fiel von mir ab und ich war mit den anderen plötzlich in Verbindung. Lachen verbindet. Humor tut mir seit jeher sehr gut.

Und wenn ich so auf meinen Freundeskreis blicke, freue ich mich immer besonders darüber, dass sich viele dort finden, mit denen es sich richtig gut lachen lässt.

Und weil ich sowohl privat als auch beruflich gerne lache, ist auch immer ein bisschen Humor in meinen Coachings dabei.

Ausser dass man trotzdem lacht, was ist Humor?

In der Psychologie gibt es verschiedene Klassifikationen von Humor. Hier sind einige der wichtigsten Humorarten, die in der Forschung thematisiert werden:

 1. Affiliativer Humor

  • Definition: Humor, der darauf abzielt, soziale Beziehungen zu stärken und Harmonie zu fördern.
  • Beispiele: Freundliche Witze, die Menschen zusammenbringen und eine angenehme Atmosphäre schaffen.
  • Psychologische Funktion: Fördert soziale Bindungen und verbessert zwischenmenschliche Beziehungen.

2. Selbstaufwertender Humor

  • Definition: Humor, der verwendet wird, um die eigene Stimmung zu heben und mit Stress umzugehen, ohne andere zu verletzen.
  • Beispiele: Selbstironie oder das Lachen über eigene Fehler in einer positiven Art und Weise.
  • Psychologische Funktion: Kann helfen, persönliche Herausforderungen und Stress zu bewältigen, indem eine positive Sichtweise gefördert wird.

3. Aggressiver Humor

  • Definition: Humor, der auf Kosten anderer geht und oft sarkastisch, zynisch oder herabsetzend ist.
  • Beispiele: Beleidigungen, Mobbing, Zynismus oder bissiger Sarkasmus.
  • Psychologische Funktion: Kann zur Spannungsentladung dienen, fördert jedoch oft Konflikte und negative soziale Interaktionen.

4. Selbstabwertender Humor

  • Definition: Humor, bei dem man sich selbst herabsetzt oder schlecht macht, um andere zu unterhalten.
  • Beispiele: Witze, in denen man sich selbst als unfähig oder dumm darstellt.
  • Psychologische Funktion: Kann zur Selbstdistanzierung und Spannungsreduktion beitragen, aber auch mit niedrigem Selbstwertgefühl assoziiert sein.

5. Intellektueller oder kognitiver Humor

  • Definition: Humor, der auf intellektuellen Spielen, Wortspielen oder komplexen Ideen basiert.
  • Beispiele: Wortspiele, komplexe Parodien oder humorvolle Gedankenspiele.
  • Psychologische Funktion: Fördert kreatives Denken und die Freude am Erkennen von kognitiven Widersprüchen oder Absurditäten.

6. Situationshumor

  • Definition: Humor, der aus der aktuellen Situation entsteht und von den Umständen abhängt.
  • Beispiele: Spontane witzige Bemerkungen in einem bestimmten Kontext oder das Lachen über unerwartete Situationen.
  • Psychologische Funktion: Reduziert Spannungen in schwierigen oder unangenehmen Situationen.

7. Schwarzer Humor (Galgenhumor)

  • Definition: Humor, der sich mit ernsten, oft tabubehafteten oder makabren Themen beschäftigt.
  • Beispiele: Witze über Tod, Krankheit oder Tragödien.
  • Psychologische Funktion: Kann helfen, mit schwierigen und unangenehmen Themen umzugehen, indem sie auf humorvolle Weise relativiert werden.

8. Nonsense-Humor

  • Definition: Humor, der durch Absurdität, Unsinn oder das Fehlen von Logik gekennzeichnet ist. 
  • Beispiele: Absurde Witze, wie sie oft in Witzbüchern für Kinder oder absurden Sketchen vorkommen. So absurd sind diese Witze, dass man sie sich nicht mal merken kann. 
  • Psychologische Funktion: Bietet eine Flucht aus dem Alltag, indem er die Regeln der Logik und des Verstandes vorübergehend aufhebt.

9. Ironie und Sarkasmus

  • Definition: Humor, bei dem das Gegenteil dessen gesagt wird, was gemeint ist, oft mit einer spöttischen oder kritischen Absicht.
  • Beispiele: Sarkastische Bemerkungen, bei denen etwas Positives gesagt wird, aber eine negative Bedeutung impliziert ist.
  • Psychologische Funktion: Kann als Verteidigungsmechanismus dienen oder um Missstände subtil zu kritisieren.

Die genannten Klassifikationen zeigen, dass Humor nicht nur eine Form der Unterhaltung ist, sondern auch vielfältige psychologische Funktionen erfüllt.

Dem Lachanfall im Krankenhaus würde ich auf den ersten Blick dem Schwarzen oder/und auch dem Situationshumor zuordnen.

Lachen kann Stress abbauen

Was bewirkt Humor im Coaching?

Mir persönlich gibt Humor privat und im Coaching einen Energieschub. Humor bewirkt aber auch: 

1. Stressabbau: Ein herzhaftes Lachen kann nachgewiesen Stress reduzieren, Spannungen lösen und helfen, eine positive Perspektive zu bekommen oder zu bewahren.

2. Verbindung und Vertrauen: Humor schafft eine gemeinsame Ebene. Indem wir gemeinsam lachen, wird Vertrauen aufgebaut und die Beziehung zueinander gestärkt. 

3. Kreativität und Perspektivenwechsel: Humor regt die kreative Seite des Gehirns an und lässt uns Probleme aus neuen Blickwinkeln betrachten. Ein gut platzierter Witz oder ironischer Einwand kann den Geist öffnen und unkonventionelle Lösungen fördern.

4. Resilienz und Optimismus: Humor hilft, resilienter zu sein und mit Herausforderungen umzugehen. Wenn du über dich selbst lachen kannst, nimmst du dich nicht zu ernst und kannst auch Rückschläge leichter annehmen.

5. Leichtigkeit und Spaß: Humor bringt Spass und Leichtigkeit in die Sitzung. Und wer mag´s nicht lieber leichter?

Und so kommt der Humor ins Coaching. Nämlich provokativ.

Provokatives Coaching? Was ist das? Wie geht das?

Dies ist eine Methode, bei der ich auf humorvolle und übertriebene Weise die Sichtweisen, Überzeugungen und Verhaltensmuster des Kunden infrage stelle. Ziel ist es, den Kunden zum Neu-denken zu bewegen und Veränderungsprozesse anzustoßen. Dabei arbeite ich mit Provokationen, um Widerstände zu durchbrechen und neue Perspektiven aufzuzeigen. 

Hier sind ein paar Praxis-Beispiele, wie so was aussieht:

  • Ich übertreibe absichtlich die negativen Überzeugungen meines Kunden: Der Kunde sagt: „Niemand sieht mich und hört mir zu“, dann könnte ich antworten „Stimmt, ich habe gar nicht bemerkt, dass Du hier bist, seit wann sitzt du hier schon? Also gut, dass ich nicht über dich vorhin nicht gestolpert bin, als ich den Tee gebracht habe.
  • Manchmal gebe ich aber auch ironische oder absurde Kommentare, die oft das Gegenteil dessen darstellen, was der Kunde eigentlich will. Diese Provokation regt den Kunden im Idealfall dazu an, seine eigene Haltung zu verteidigen und aktiv Position zu beziehen. Ein Beispiel: Mein Kunde kommt immer wieder auf das Thema, das ihm die Motivation fehlt. Ich antworte: Brauchst du doch gar nicht! Ohne Motivation lässt es sich doch wunderbar leben, dann bleibst du halt einfach auf der Coach, während die Familie zum Wandern geht, so what? Warum aufstehen, wenn Du auch sitzen bleiben kannst? Nenn mir bitte wenigstens 2 Gründe, wofür die Motivation gut sein soll? Da kann dir ja gar nichts einfallen. Das ruft dann manchmal eine Gegenreaktion hervor und dann kann so was passieren: Der Kunde wehrt sich und traut sich im provokativen ironischen Feld zu öffnen und zu verteidigen. Hierbei sind schon wunderbare neue Strategien und Erkenntnisse ans Licht gekommen.

Aber keine Angst, denn ich konfrontiere ausschliesslich auf eine respektvolle und spielerische Art die Ängste oder Blockaden meiner Kunden. Diese Konfrontation hilft, festgefahrene Denkmuster zu durchbrechen. Der Kunde kann dann seine eigenen Gedanken und Verhaltensweisen hinterfragen und Verantwortung für Veränderungen übernehmen. Durch die Provokation erkennt der Kunde oft, dass er selbst über die Lösung seiner Probleme verfügt. Meiner Erfahrung nach eignet er sich besonders für Menschen, die eine humorvolle und direkte Art der Kommunikation schätzen.

Wer hat´s erfunden? 

Der Provokative Ansatz hat sich aus der der Provokativen Therapie von Frank Farrelly, einem amerikanischen Psychotherapeuten entwickelt. 

Farrelly arbeitete ursprünglich mit psychisch schwer erkrankten Patienten in einem psychiatrischen Krankenhaus. Dort hat er in den 60er Jahren eher zufällig die Form der Provokativen Therapie entdeckt, als er merkte, dass die klassische klientenzentrierte Gesprächstherapie (nach Carl Rogers), die hauptsächlich auf Einfühlungsvermögen und Akzeptanz setzt, bei diesen Patienten wenig bis keine Fortschritte brachte.

Frank Farrelly Portrait Bild

Deshalb begann er auf eine provokativ-humorvolle Art mit den Patienten zu interagieren. Er übertrieb ihre negativen Gedanken und Verhaltensweisen bewusst und setzte Ironie und Humor ein, um sie aus ihrer Lethargie oder ihren fixierten Denkmustern herauszuholen. Diese Methode führte überraschenderweise bei vielen Patienten zu positiven Reaktionen. Anstatt sich in ihren Problemen zu verfangen, begannen sie, ihre eigenen Positionen zu hinterfragen, sie zu verteidigen oder sogar Veränderungen vorzunehmen. Der provokative Ansatz wird heute auch im Coaching angewendet.

Farrelly selbst beschrieb seine Methode als „liebevolle Konfrontation“, da sie zwar provokativ ist, aber immer aus einer Haltung der Wertschätzung und des Humors heraus erfolgt.

C&H ein lustiges Paar

Abschliessend möchte ich darauf hinweisen, dass der Begriff „provokativ“ im Sinne von „herauslocken, herausfordern und keinesfalls im Sinne von verletzen oder beleidigen verstanden werden darf. Auch Sarkasmus und Zynismus finden hier keinen Platz. 

Ausserdem kommt die Methode bei mir nur in kleinen Dosen zum Einsatz, so z.B. bei Ratlosigkeit, Denk-und Gefühlsblockaden, Feststecken in der Problemtrance. Auch kläre ich meine Kunden im Vorfeld darüber auf, dass es im Coaching zu Situationen kommen kann, wo ich versuche, Dinge aus ihm „herauszuprovozieren“. Bislang haben sich damit alle einverstanden erklärt, und es kam das ein oder andere mal schon zu lauterem Gelächter und befreienden Lachanfällen seitens der Kunden, aber auch von mir.

Kleine Anmerkung zum Schluss: Ich selbst habe mich für diese Methode zu interessieren begonnen, nachdem ich selbst in den Genuss eines provokativen Coachings gekommen war, wo es um meine pubertierende Tochter ging, und ich Tränen gelacht habe. In meinen Coachings kommen übrigens ausschliesslich Methoden zum Einsatz, die ich u.a. an mir selbst bereits ausprobiert habe. 

Falls Du Interesse an meinem Angebot hast, kannst du gerne ein kostenloses Kennenlerngespräch mit mir vereinbaren.

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